Die Neoliberalen greifen an

Friedrich Merz, Lobbyist der US-amerikanischen Investmentgesellschaft BlackRock und designierter Wirtschafts- und Finanzminister in einer CDU-geführten Bundesregierung, twitterte letzte Woche: „Corona hat mehr Staatsgläubigkeit hervorgerufen, Sicherheit wird in Deutschland als Synonym für staatlichen Schutz verstanden. Dieser wurde ausgebreitet, auch nicht völlig erfolglos. Jetzt ist die Frage: Wie kommen wir aus diesem Modus wieder heraus? Und wie vermeiden wir vor allem, dass diese hohe Erwartungshaltung an den Staat eins zu eins auf die Umweltpolitik übertragen und vielleicht sogar umgesetzt wird, zulasten unserer bürgerlichen Freiheiten? Das wird eine Hauptaufgabe der nächsten Bundesregierung sein.“

Erstaunlich, wie unterschiedlich Wahrnehmungen sein können. Corona hat offengelegt, wie schlecht der neoliberal deformierte Staat auf die Pandemie vorbereitet war. Masken und Schutzkleidung fehlten, der Staat macht bis heute nicht den Eindruck, als hätte er einen Plan. Tür und Tor standen für Abzocker offen, bei Maskendeals und Teststationen. Wer sich dem regellosen Spiel des Marktes überlässt, der wird ausgenommen. Ein Staat, der keine wirksamen Regeln zum Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger fest- und durchsetzt, verliert an Glaubwürdigkeit. Bürgerinnen und Bürger wollen einen Staat, der ihre Daseinsvorsorge sichert. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen.

Beim Bundesministerium des Innern (BMI) bestand eine Kommission zum Schutz der Zivilbevölkerung, die die Bundesregierung in wissenschaftlichen und technischen Fragen des Zivilschutzes und der Katastrophenhilfe beriet. Am 1. September 2006 veröffentlichte die „Ar­beits­grup­pe Bio­lo­gi­sche Ge­fah­ren der Schutz­kom­mis­si­on“ den Bericht „Schutz der Be­völ­ke­rung vor neu auf­tre­ten­den In­flu­enza-Vi­ren“. Die Empfehlungen dieses Positionspapiers sind lesenswert – so hätte man die Corona-Pandemie managen können. Es interessierte keinen. Die Kommission wurde zum 20. April 2015 aufgelöst.

Zwei weitere große Themen neben Corona zeigen die Folgen eines schwachen Staates: CUM-EX und Klimawandel. Mit dem CUM-EX-Trick wurde der Staat ausgeplündert, weil er die Regeln für den Aktienhandel nicht wasserdicht festgezurrt und damit zu Betrug bei der Kapitalertragsteuer eingeladen hatte. Beim Klimaschutz bleibt es das Geheimnis der Neoliberalen wie Friedrich Merz, wie der Klimawandel ohne staatliche Regulierung gestoppt werden könnte. Hat das Klima-Thema vor der Einführung von CO2-Grenzwerten irgendeinen Autobauer interessiert? Wurden die Verbräuche und die Emissionen bei den Modellen freiwillig gesenkt? Nein, sie wurden freiwillig manipuliert und kein fürsorglicher Staat entdeckte den Betrug, sondern die Deutsche Umwelthilfe, eine Nicht-Regierungsorganisation. Ein Markt, der nicht staatlich geordnet wird, läuft aus dem Ruder. Am plastischsten lässt sich das am Wohnungsmarkt studieren mit seinen ins Uferlose steigenden Preisen für Eigentum und Miete.

Den Markt interessieren die Folgekosten seines Wirtschaftens nicht, ihn interessiert der privatisierte Profit. So stolperten wir in die Klimakrise und die eigentliche Frage an CDU/CSU und FDP ist, warum wir einem marktkapitalistischen System, das uns den Klimawandel eingebrockt hat zutrauen sollten, dass es uns aus der Klimakrise herausführen kann.

Ein gemeinwohlorientierter Staat trifft Vorsorge. Er kümmert sich um die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger, um Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung, Bildung, Alterssicherung, Armutsbekämpfung, Umwelt. Ein vorausschauender Staat, dem das Wohl seiner Menschen am Herzen liegt, käme nicht auf die Idee, diese Bereiche zu privatisieren, weil er damit deren demokratische Kontrolle aus der Hand geben würde. Es geht also beim Vorsorgestaat nicht um die neoliberale Scheinalternative Freiheit oder Sozialismus, sondern um das Kernprojekt einer freien Gesellschaft: Mehr Demokratie wagen!

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