Urlaub

Neulich im Impfzentrum. Ein Ehepaar kommt mit Termin zur Erstimpfung. Sie werden in die Impfpraxis gebeten. Der Medizinischen Fachangestellten fällt beim Durchsehen der Impfpässe auf, dass bereits eine Covid-Erstimpfung von einem anderen Impfzentrum eingetragen ist. Die beiden müssten also dort den Termin für die Zweitimpfung haben. Außerdem sind sie für die Zweitimpfung zwei Wochen zu früh. Ja, erklärt das Ehepaar, das wüssten sie schon alles, aber sie bräuchten die Zweitimpfung dringend früher. Die Ärztin kommt dazu und lehnt ab. Der Mann zückt sein Handy und droht, seinen Anwalt anzurufen. Die Leiterin des Impfzentrums wird dazugerufen und stellt klar, dass die beiden erstens gerade zwei anderen Personen einen Ersttermin weggenommen haben und dass sie zweitens schon einen Zweittermin hätten, genau im richtigen Abstand für einen optimalen Impfschutz. Das Ehepaar wird höflich aus der Halle komplimentiert. Sie haben, wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellt, einen Urlaubsflug gebucht, der vor ihrem Zweittermin liegt.

Beim Urlaub ist Schluss mit Lustig. Urlaub ist der heilige Gral. Der Sinn des Lebens? Urlaub! Aber was ist das für ein Leben, dessen Sinn darin besteht, in regelmäßigen Abständen eine Auszeit von ihm zu nehmen? Es ist ein Leben, das von Arbeit getaktet wird. Und damit wir in der Maschinerie der Arbeitswelt nicht untergehen, dürfen wir im Urlaub auftauchen, durchatmen, bei uns sein. Was nicht unbedingt ein Vorteil ist, denn wir würden gerne auch mal von uns selbst Abstand finden, aber wohin wir auch fahren, wir sind schon da.

Der Urlaub ist das Zuckerbrot des Arbeitslebens, die Erlaubnis, sich zeitlich begrenzt aus einer Verpflichtung zu entfernen, so die althochdeutsche Bedeutung von „urloup“. Wir dürfen in Urlaub, damit wir unsere Arbeitskraft erhalten und nicht, damit wir zu uns oder auf dumme Gedanken kommen. Denn wenn wir zu uns kämen und unsere Lage genau in Augenschein nähmen – der Anblick wäre zum Verzweifeln. Arbeit. Urlaub. Konsum. Arbeit. Urlaub. Konsum … 

Im Urlaub wird Zeit konsumiert, die nur scheinbar frei ist. Denn der Urlaub will geplant sein, organisiert, gemanagt. Urlaub verlangt Logistik, Infrastruktur und eine pseudoempathische Maschinerie, die Entspannungsillusionen schafft. Bei Urlaub handelt es sich um den verzweifelten Versuch, die Arbeit als Sinn des Lebens zu überwinden, nur um am Ende des Urlaubs umso schmerzhafter damit konfrontiert zu werden, dass es keinen Ausweg gibt.

Wo kein Ausweg ist, da ist zumindest ein Hin- und Rückweg. Der wird bevorzugt mit dem Flugzeug zurückgelegt, da die größtmögliche Distanz zum Urlaubsort uns auch eine größtmögliche Distanz zu unserer alltäglichen Erschöpfungsexistenz suggeriert. Oder es wird ein Kreuzfahrtschiff bestiegen, das wie eine schwimmende Hochhaussiedlung aussieht, in der wir nicht freiwillig leben wollten, stünde dieses Wohnbaudesaster immobil an Land. 

Doch egal, welches Fortbewegungsmittel der fossilen Energiezeit wir wählen, wir haben ein Problem: das Klima. Dieses Klima präsentiert uns die Rechnung für unsere Art zu wirtschaften, die unsere Lebensgrundlagen zerstört. Die Frage, wie billig ein Flug sein darf, ist nicht länger eine soziale, sondern eine existentielle. Die Frage betrifft unser Leben, das unserer Kinder und Enkel. Und da ist es spannend zu sehen, wer darauf „Das ist mir wurscht!“ antwortet.

Globus im Garten

++ IDEALKAPITAL KULTURTIPP ++ ++ Cannes 2021 ++ Cannes-Filmauswahl auf ARTE ++ Es war einmal … Ich, Daniel Blake ++ Dokumentation über den 2015 mit der Goldenen Palme prämierten Film „Ich, Daniel Blake“ von Ken Loach, in dem er mit dem maroden Sozialversicherungssystem in Großbritannien abrechnet ++