Aufklärung

Es war der Moment der Wahrheit, als der Mikrobiologe Prof. Timo Ulrichs in der Talkshow „Markus Lanz“ am 4. Mai die AfD-Politikerin Alice Weidel auskonterte: „Mit Zahlen, Daten, Fakten hat Ihre Partei ja auch ein Problem“.

Stimmt. Dabei sind Wissenschaft und Fakten eine geniale Erfindung. Wissen wird nicht länger von Herrschenden konstruiert und dekretiert, sondern aus Forschung generiert. Diese Forschung läuft nach Regeln ab, so dass die Ergebnisse nachvollziehbar und überprüfbar sind. Wissenschaft ist nicht hermetisch, sondern offen für jede und jeden, die sich mit ihr beschäftigen wollen. Deshalb ist der Zugang zu Schule und Hochschule im Prinzip demokratisch organisiert, wenn man von der Reglementierung durch soziale Faktoren absieht: Nach wie vor haben Kinder reicher Eltern bessere Bildungschancen.

Neben dieser skandalösen sozialen Ungleichheit lässt ein weiteres Faktum aufhorchen: Mehr als die Hälfte der 15 Jahre alten Schülerinnen und Schüler können laut einer Sonderauswertung der Pisa-Studie von 2018 nicht zwischen Fakten und Meinungen unterscheiden, wenn sie einen Text kritisch beurteilen sollen. Das ist nicht nur ein Alarmsignal für die Bildungspolitik, sondern auch für unsere Demokratie. Denn dieses Defizit ist der Boden, auf dem Desinformation gedeihen kann. Wer nicht zwischen Fake und Fakten unterscheiden kann ist offen für Propaganda und Manipulation. Ganz offensichtlich betrifft das aber nicht nur die 15-Jährigen. Wer den Erwachsenen auf Querdenker-Demos zuhört ist erschüttert von deren Dummheit.

Was kann man dagegen tun? Aufklären und Fakten gegen Fake stellen, wie es die Seite Volksverpetzer.de praktiziert. Aufklärung ist das einzig taugliche Mittel gegen Desinformation. Aufklärung kann Spaß machen. Für die preisgekrönte Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim brauche ich nicht mehr zu werben, gerne aber für ihr Video vom März „Klimawandel - Was die Wissenschaft wirklich weiß (...und was nicht)“.

Aus Österreich kommt die Wissenschaftskabarettgruppe „Science Busters“ um Martin Moder. Moder veröffentlicht auf seinem YouTube-Kanal MEGA – Make Europa Gscheit Again und sprach Anfang Mai im Österreichischen Rundfunk über die Kunst der Wissensvermittlung in Zeiten der Desinformation.

Professioneller Journalisten betreibt Aufklärung, und ein bemerkenswertes Format der Aufklärungsarbeit ist das Katapult-Magazin. Während die Naturwissenschaften mit Titeln wie GEO oder Spektrum der Wissenschaft schon länger am Kiosk vertreten sind, haben die Sozialwissenschaften mit Katapult jetzt endlich ein inhaltlich und gestalterisch extrem ansprechendes Magazin im Angebot. Die Themen sind bunt wie unsere Gesellschaft und mit eingängigen Grafiken unterlegt. Fakten müssen nicht trocken sein, das beweist Katapult.

Die Pandemie hat der Soziologie ein riesiges Arbeitsfeld eröffnet. Weit mehr als die beiden folgenden Fragen warten auf Beantwortung: Was bringt Menschen dazu, wissenschaftlicher Expertise nicht zu vertrauen und in Sphären der Desinformation abzudriften? Was bringt Menschen dazu, den globalen Klimawandel zu leugnen – und warum sind die politisch mehrheitlich nationalistisch orientiert?

Manche Menschen fallen auf Lügen herein, weil sie die Wahrheit nicht ertragen, manche, weil sie es nicht besser wissen. Letzteres lässt sich ändern durch Bildung, Aufklärung und faktenbasierte Information. In diesem Jahr der Bundestagswahl ist ein neuer Höhepunkt der Fake News-Verbreitung zu erwarten. Lassen wir uns nicht für dumm verkaufen. Bleiben wir aufgeklärt.

Katapult Magazin
Grafik: katapult-magazin.de

++ IDEALKAPITAL KULTURTIPP ++ Rainald Grebe ++ Wissenschaft ist eine Meinung ++ Aus dem Album „Popmusik“ ++

PS: Am 3. April berichtete ich darüber, dass Tareq Alaows wegen rassistischer Anfeindungen seine Kandidatur für den Bundestag zurückgezogen hat. Jetzt gab Alaows ein Interview in der ZEIT: „Ich habe Krieg und Flucht erlebt, aber mich nie so hilflos gefühlt.“