Erfahrungswechsel

Die Grünen haben eine sehr gute Entscheidung getroffen. Annalena Baerbock ist Kanzlerkandidatin. „Die Menschen wachsen über sich hinaus, jetzt wird es Zeit für eine Politik, die über sich hinauswächst“, ist für mich der Schlüsselsatz ihrer Antrittsrede am 19. April 2021.

Sie hat keine Erfahrung ist der zentrale Vorwurf an sie im Moment. Was für einen Mut sie hat, sich dem auszusetzen. Mut hatte sie schon gezeigt, als sie 2018 für den Parteivorsitz kandidierte und gewann. „Es geht heute nicht um die Frau an Roberts Seite“, sagte sie damals, und die beiden haben als Duo eine Performance hingelegt, die beispielhaft ist: klar, klug, respektvoll. Für uns Beobachterinnen ist das eine neue Erfahrung im Politikbetrieb.

Auf Twitter hieß es am Tag ihrer Nominierung schlagfertig an die Adresse von CDU und CSU, Annalena Baerbock habe mit Sicherheit zu wenig Korruptionserfahrung. Was also soll uns die Erfahrungsdebatte sagen? Wollen wir die Erfahrung von Andi Scheuer, der einen Sack voll Geld fürs Maut-Desaster versenkt? Die Erfahrung von Jens Spahn, der seine forschen Ankündigungen zur Pandemiebekämpfung immer wieder einfangen muss? Die Erfahrung von Peter Altmeier, der die Corona-Hilfen nicht verteilt bekommt und es „eine Scheißidee“ findet, sich den Fridays for Future-Protesten zu stellen? Die Erfahrung von Olaf Scholz, der Cum Ex und Wirecard erst verstanden hat, als es zu spät war? Wir müssen jetzt nicht das gesamte Kabinett durchgehen, um zu verstehen, dass sich diese Art der „Erfahrung“ überflüssig gemacht hat. Wenn die Planlosigkeit der Politik in der Pandemie auf jener Erfahrung beruht, die Annalena Baerbock fehlt, dann hätte ich gerne einen Erfahrungswechsel.

Man hatte vor 2020 vielleicht noch die Hoffnung, die deutsche Verwaltung habe ausreichend Erfahrung, um eine Pandemie zu managen … eine Illusion, ihr mangelt es schon seit geraumer Zeit an Erfahrung, um Baumaßnahmen in angemessener Zeit und mit dem veranschlagten Budget umzusetzen, das Land zu digitalisieren, die Infrastruktur nicht verkommen zu lassen, das Gesundheits- und Bildungswesen … Wir haben es offensichtlich mit einer Erfahrungskultur zu tun, die nichts dazu beigeträgt, das Land fit für die Zukunft zu machen. 

Wenn die Covid-Pandemie vorbei ist, steht der Klimawandel wieder auf der Agenda an erster Stelle. Mit der Erfahrung von Generationen war es nicht möglich, ihn zu verhindern, ja im Gegenteil, die Alten, deren Kinder und Enkel jetzt für Fridays for Future auf die Straße gehen, haben ihn ja mit ihrer „Erfahrung“ ausgelöst. Erfahrung, aus der keine Klugheit erwächst, taugt nichts. Die USA unter Präsident Biden machen es gerade vor, wie moderne Klimapolitik geht. Es ist auch für uns Zeit für einen Erfahrungswechsel. Am 26. September können wir ihn wählen.

Grüne Baerbock

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