Fossile Männlichkeit

Die AfD leugnet nicht nur den Klimawandel, sie möchte auch die Atomkraft reaktivieren. Für die Lösung des Atommüllproblems hat sie keine Lösung und ignoriert weitere fundamentale Fakten: Keines der über 600 weltweit betriebenen AKWs war lt. DIW-Studie von 2019 wettbewerbsfähig, sie wurden durch Subventionen am Leben erhalten. Kein AKW kann einen positiven Nettobarwert ausweisen. Der Verlust pro AKW beläuft sich auf ca. 1,5 Mrd. Euro/Laufzeit. Die Daten stammen aus dem Buch „Klimawandel. 33 Fragen und Antworten“ von Bernhard Pötter, mein Tipp für alle, die in das Klima-Thema einsteigen wollen.

Aber nicht nur die AfD verbreitet Blödsinn über die Atomkraft. Auch in der CDU/CSU halten Männerfossilien weiter an atomaren und fossilen Energien fest. Das traut sich nicht einmal mehr die FDP, die auf Wasserstoff setzt, aber noch nicht verstanden hat, dass nur Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien produziert wird, klimagerecht ist. 

Fossile Energie ist in der Wirtschaft ein Auslaufmodell, weltweit setzt man auf erneuerbare. Der Ölkonzern Shell muss laut Gerichtsurteil in den Niederlanden seine Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 45 Prozent senken. Gerade wurde die Nordlink-Stromtrasse in Betrieb genommen, ein 630 Kilometer langes Kabel, durch das Strom aus deutscher Windkraft und norwegischer Wasserkraft transportiert wird. An den Börsen ist Klimaneutralität ein zunehmend wichtiger Wert. Die Zukunft der Wirtschaft ist Kreislaufwirtschaft, mit erneuerbarer Energie und Produkten, die nicht mehr „entsorgt“, sondern wiederverwertet werden. Nur die fossile Männlichkeit hat noch nicht verstanden, dass wir alles verlieren, wenn wir nicht alles ändern. 

Eine gute Gelegenheit, „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas aus dem Bücherschrank zu holen, erschienen vor über vierzig Jahren. Jonas beschreibt darin die „immer nötiger werdende Selbstbeaufsichtigung unserer übermäßigen Macht“ als Leitfrage einer Ethik, die Zukunft mitdenkt. Das Bundesverfassungsgericht hat sie explizit mitgedacht, als sie der Bundesregierung Ende März attestierte, dass ihr Klimaschutzgesetz insofern mit Grundrechten unvereinbar ist, „als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen“. Das BVG spricht das Recht zukünftiger Generationen aus, in einer intakten Welt leben zu können.

Selbstbeaufsichtigung bei Hans Jonas ist die Aufforderung zur Selbstreflexion und zu einem am Gemeinwohl orientierten Handeln. Ich muss nicht alles machen, nur weil ich es kann. Denn es gibt eine Verantwortung über mein eigenes Wünschen, Wollen und Können hinaus. Ich habe auch Verantwortung für das soziale Gefüge, die Natur und die Zukunft der Menschheit. Damit wird das Kredo der fossilen Männlichkeit fundamental konterkariert und Männlichkeit neu definiert: Als zurückhaltend in einem empathischen und fürsorglichen Sinn, ausgestattet mit eine Weltsicht, die weit über das eigene Ego hinausgeht.

Hans Jonas bringt es in „Das Prinzip Verantwortung“ in Absatz „III.4 Das Element der Wette im Handeln. Kein Recht der Menschheit auf Selbstmord“ auf den Punkt: „Es besteht eine unbedingte Pflicht der Menschheit zum Dasein, die nicht verwechselt werden darf mit der bedingten Pflicht jedes Einzelnen zum Dasein. Über das individuelle Recht zum Selbstmord läßt sich reden, über das Recht der Menschheit zum Selbstmord nicht.“

Erinnerungsguerilla

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