Gaga blung

Vielleicht gehen die 2020er-Jahre als das Zeitalter der großen Wirrnis bei gleichzeitig bestmöglicher wissenschaftlicher Erkenntnislage in die Geschichtsbücher ein. Man kann auf diesen Gedanken kommen, nachdem man zwei TV-Sendungen am vergangenen Sonn- und Montag gesehen hat.

Am Sonntag verbreitete bei „Anne Will“ die Impfskeptikerin Sahra Wagenknecht „Räuberpistolen“ (Karl Lauterbach) über die Impfung und das pandemische Geschehen. Frau Wagenknecht ist von so ausgesuchter Eloquenz, dass sie stundenlang alleine vor sich hinreden könnte. Glücklicherweise waren noch Karl Lauterbach und Christina Berndt, Wissenschaftsredakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, eingeladen, die den von jeder wissenschaftlichen Erkenntnis befreiten Wagenknechtschen Wortkaskaden zeitweise Einhalt geboten und die Diskussion wieder auf den Boden der Faktenlage zurückführten. Allerdings nicht für Frau Wagenknecht. Ihr Gesichtsausdruck signalisierte: Null Erkenntnisgewinn. Argumente, die nicht in Frau Wagenbachs selbstgebasteltes Weltbild passen, rauschen bei ihr offensichtlich ungebremst zum anderen Ohr wieder hinaus.

Dabei versteht Frau Wagenknecht vermutlich sehr genau, dass ihre medizinische Argumentation unhaltbar ist. Aber es geht ihr und den „Impfskeptikern“ gar nicht um medizinische Fragen, sondern um politisches Kalkül: Sie stellen das politische System in Frage. Sie sehen sich als Freiheitskämpfer gegen eine „Corona-Diktatur“. Es ist also falsch zu glauben, man müsse nur besser über die Pandemie und den Impfstoff informieren, damit sich mehr Menschen impfen lassen. Eigentlich muss man die Ungeimpften von der Demokratie und ihren Spielregeln überzeugen. Zu diesen gehört, dass eine Pandemie keine Privatangelegenheit ist.

Am Montag promotete Dorothea Siems, Wirtschaftsjournalistin und Chefökonomin der WELT, bei „Hart aber Fair“ die Atomkraft als Lösung der Klimakrise. Ihr Argument ist schlagend: Andere Länder machen es auch. Von einer „Chefökonomin“ müsste man allerdings erwarten, dass sie die Folgen der Atomkraft mit einkalkulieren kann, Folgen, die schon heute bekannt sind: Erstens ist die Endlagerung des radioaktiven Mülls ungeklärt, nicht nur bei uns, sondern auch in allen anderen Ländern; zweitens gewinnen wir aus Atom den teuersten Strom, der – auch in allen anderen Ländern – nur durch staatliche Steuersubventionierung produziert werden kann. Atomstrom ist die unwirtschaftlichste Form der Energiegewinnung, deshalb traut sich kein Privatunternehmen alleine und ohne Staatsgeld daran. Das müsste einer knallharten neoliberalen Marktwirtschaftlerin wie Frau Siems eigentlich bekannt sein. Warum setzt sie dann auf diesen am freien Markt nicht durchsetzbaren Energieträger? Ganz einfach, weil in der Ideologie der Neolibs die schönste weil risikoloseste Ausplünderung die Ausplünderung des Staates ist. Was man auch an den 70 Mrd. € (Marcel Fratzscher, Ökonom) erkennt, die bei uns jedes Jahr aus Steuermittel als Subventionen für fossile Energien ausgeschüttet werden.

Die Weltklimakonferenz in Glasgow wird rechtlich verbindliche Maßnahmen, die uns retten werden, voraussichtlich nicht beschließen. Dafür ist das November-Wetter nicht zum Davonlaufen. Bleiben wir also zu Hause und lesen zum Zeitvertreib ein gutes Buch wie „Flametti“ von Hugo Ball. Hugo Ball erfand vor über 100 Jahren den Dadaismus und sein Lautgedicht „Gadji beri bimba“ mutet heute noch so traumwandlerisch poetisch wie damals an. Es schließt mit den Zeilen (bitte ein Fenster zur Straße öffnen und laut rezitieren):

gaga di bumbalo bumbalo gadjamen
gaga di bling blong
gaga blung.

++ WissensTipp ++ Alles auf eine Karte. Der Wettlauf um den Covid-Impfstoff. Sehenswerte Doku über eine der großartigsten Erfolge der wissenschaftsbasierten Medizin. ++

Der Kreis der Poesie von Friedrich Schlegel
Welche Übersichtlichkeit: „Der Kreis der Poesie“. Friedrich Schlegel entwirft 1802/1803 ein Universum des Wissens. Deutsches Romantik-Museum Frankfurt am Main. https://deutsches-romantik-museum.de

++ KulturTipp ++ CAUSA KURZ: DIE #CHATPROTOKOLLE. Eine Lesung des Burgtheater-Ensembles ++ Korruption und Betrug – gegen Sebastian Kurz und weitere Beschuldigte ermittelt die Staatsanwaltschaft. Sie gründet ihre Vorwürfe auf Chat-Nachrichten. Schauspieler des Burgtheaters lesen diese vor. ++ Video auf der Seite des Burgtheaters ++ Video auf Youtube ++