Wirre Demokraten

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Verfassungsbeschwerden betreffend Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie der Schulschließungen sind erfolglos. Die Bundesnotbremse war richtig. Der allgemeine Gesundheitsschutz steht in einer Pandemie über der individuellen Freiheit. Man kann nicht machen, was man will, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. 

Ein Kernsatz aus der Urteilsbegründung lautet: „Mit den Kontaktbeschränkungen verfolgte er Gemeinwohlziele von überragender Bedeutung. Der Gesetzgeber wollte so Leben und Gesundheit schützen, wozu er nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist.“ Ersetzt man das Wort „Kontaktbeschränkungen“ durch „Impfpflicht“, kommt man auch als FDP zu einem interessanten Ergebnis in der aktuellen Diskussion.

Das Bundesverfassungsgericht hat der FDP, die die Klage eingereicht hatte, den Unterschied erklärt zwischen ihrem radikalliberalen EGO-Freiheitsbegriff und dem gemeinwohlorientierten Freiheitsbegriff des Grundgesetzes. Der ZEIT-Journalist brachte die FDP-Position in der „Hart aber Fair“-Sendung vom Montag auf den Punkt: „Leg dich quer, dann bis du wer.“ Die FDP lag mit ihrer Einschätzung falsch, die Bundesnotbremse sei verfassungswidrig. Der designierte FDP-Justizminister Marco Buschmann lag falsch. Ein toller Start in den neuen Job. 

Die Ungeimpften sind die Treiber der Pandemie, sie sind an bis zu 90% aller Infektionen beteiligt. Aber radikalliberale FDPler skandieren „Freiheit!“ und holen sich bei Rechtsradikalen Applaus ab. Die tanzen auf der Straße und werden von der Polizei dabei fürsorglich beschützt. Aus Stuttgart kursiert ein Video in einschlägigen Telegram-Kanälen, in dem Querdenker unser Grundgesetz verbrennen. Das alles hat, wie Christoph Lauer treffend twitterte, „auch etwas von Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung.“

Die gesellschaftliche Mitte zieht sich zurück, hält die Pandemieregeln ein, und überlässt Radikalen die Straße. Was tun? Die Corona-Impfpflicht einführen. Sie bietet Schutz vor Ansteckung für alle und ist die einzige Chance, die Pandemie zu beenden. Ohne Impfpflicht können wir uns auf Welle Nr. 5, 6, 7 vorbereiten. Würde eine Impfpflicht eingeführt, gäbe es außerdem keine Ausreden mehr für die Polizei, Impfverweigerer nicht zu kontrollieren und die im Gesetz festgelegten Strafen nicht zu verhängen. Es sei denn, man ist in Sachsen, lässt Pandemieleugner und Rechtsradikale unbehelligt spazierengenen und hat einen Innenminister Roland Wöller, dessen Skandal-Sammlung beachtlich ist.

Wenn die Demokratie nicht anfängt, sich gegen ihre militanten Feinde zu wehren, wird sie untergehen. Das ist deren Ziel, denn es geht den Verquerdenkern nicht um medizinische Fragen, sondern um staatspolitische. Sie wollen unsere Demokratie abschaffen. Das belegen Chats von AfD-Politikern, in denen Umsturzphantasien ausgetauscht werden, wie der BR in dieser Woche berichtet.  Der Verfassungsrechtler Klaus Gärditz, Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, kommt zu der Einschätzung, die Revolutionsrhetorik zeige, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung aggressiv bekämpft wird.

Über das von Karl Popper formulierte Toleranz-Paradoxon habe ich im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse bereits geschrieben. Poppers Satz gilt auch für den Umgang mit demokratiefeindlichen Pandemieleugnern und Impfgegnern: „Wenn wir der Intoleranz den Rechtsanspruch zugestehen, toleriert zu werden, dann zerstören wir die Toleranz und den Rechtsstaat.“ Wir können nur hoffen, dass Polizei und Verfassungsschutz den Rechtsstaat noch verteidigen.

Immerhin bröckelt die Abwehrfront der Corona-Impfpflicht-Gegner von Tag zu Tag mehr und meine Petition zur Corona-Impfpflicht hat schon nach drei Wochen über 100.000 Unterzeichner gefunden. Ein eindrucksvolles Statement für einen bei Gesundheitsschutz und Demokratie wehrhaften Staat. 

Bund und Länder haben am Donnerstag beschlossen, dass der Ethikrat bis zum Jahresende eine Empfehlung für die Einführung der allgemeine Corona-Impfpflicht ab Februar 2022 erarbeiten soll – für alle, für die die STIKO die Impfung empfohlen hat.

Aus der Abschiedsrede von Bundeskanzlerin Merkel, Großer Zapfenstreich, 02.12.2021:
„Unsere Demokratie lebt von der Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung und zur Selbstkorrektur. Sie lebt vom steten Ausgleich der Interessen und von dem Respekt voreinander. Sie lebt von Solidarität und Vertrauen, im Übrigen auch von dem Vertrauen in Fakten und davon, dass überall da, wo wissenschaftliche Erkenntnis geleugnet und Verschwörungstheorien und Hetze verbreitet werden, Widerspruch laut werden muss. Unsere Demokratie lebt auch davon, dass überall da, wo Hass und Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen erachtet werden, unsere Toleranz als Demokratinnen und Demokraten ihre Grenze finden muss.“

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